WEISSENFELS/MZ. "Ich dachte, ich betrete ein Autohaus. Hier ist ein kalter Funktionsraum ohne Gesicht entstanden", schimpfte Otto Klein (Fraktion Bürger für Weißenfels). Gemeinsam mit anderen Stadträten war er am Donnerstagnachmittag zu einem Rundgang durch das neue Bürgerzentrum an der Ecke Große Burgstraße / Klosterstraße gekommen. Und bereits im Vorfeld hatte ein hinter einer Zwischendecke aus Gipskarton verschwundener Deckenstuck im Erdgeschoss ein deutlich vernehmbares Grummeln ausgelöst.
Klein beklagte, dass nicht nur die Decke im Stil der späten Biedermeier-Zeit verschwunden ist, sondern auch wichtige Merkmale der bisherigen Innenarchitektur wie Rundbögen und Säulen. Letztere seien nur Pappmaché und somit ohne Wert gewesen, argumentierte Bernd Steudtner, als ehemaliger Chef der Wohnungsbau Wohnungsverwaltung Weißenfels GmbH (WVW) mit der Baustelle bestens vertraut. Für den Einzug der Zwischendecke führte er bauliche Gründe ins Feld. Moderne Abluft- und Beleuchtungssysteme für das Bürgerzentrum installieren und gleichzeitig die Stuckdecke sichtbar erhalten - das sei nicht miteinander vereinbar gewesen, so die Argumentation des Bauherren. Für die Stadt, die künftig Mieter im WVW-Gebäude sein wird, schlug Oberbürgermeister Robby Risch (parteilos) in die gleiche Kerbe: "Wir können nicht ein Museum aufbauen und gleichzeitig moderner Dienstleister sein."
Verärgert über das Verschwinden der Stuckdecke ist jedoch auch Olaf Witt, Inhaber des Eiscafés "Drei Schwäne" in der Jüdenstraße, das sich früher in dem Haus an der Ecke Große Burgstraße / Klosterstraße befand. Als er das Gebäude 1992 / 93 umgebaut hat, habe ihm der Denkmalschutz die Auflage erteilt, die Stuckdecke sichtbar zu erhalten, sagte er gegenüber der MZ. Seinerzeit habe er als Grundlage für die Rekonstruktion sogar ein Gutachten finanzieren müssen. "Ich verstehe nicht, warum hier im Laufe der Zeit mit zweierlei Maß gemessen wird", so der Weißenfelser Geschäftsmann.
Ungeachtet der Debatte um die verschwundene Stuckdecke hatte Oberbürgermeister Risch noch am Donnerstagmittag ein sportliches Ziel ausgerufen. In zwei Wochen könne der Umzug an den neuen Verwaltungsstandort beginnen. Beim Rundgang drei Stunden später sprach Bernd Steudtner allerdings von einem Bauende in etwa vier Wochen. Dass selbst dieses Ziel ehrgeizig ist, davon konnten sich die Stadträte selbst überzeugen. Versprüht doch das Haus mit seiner neuen Fassade im Inneren mehr noch den Charme einer Baustelle als den eines modernen Verwaltungsstandortes.
Den Vorwurf, verantwortungslos mit alter Bausubstanz umgegangen zu sein, wollte Steudtner im Übrigen nicht auf sich sitzen lassen. "Wir haben 25 alte Türen aufgearbeitet", berichtete er während des Rundgangs durch die beiden oberen Etagen, in denen künftig rund 60 städtische Mitarbeiter aus den Bereichen Finanzen und Ordnungsamt, Kindertagesstätten, Schulen und Wohngeld ihren neuen Arbeitsplatz haben werden.
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