VON HEIKE RIEDEL
WEISSENFELS/MZ. "In der Neustadt bin ich aufgewachsen, da in dem Haus gegenüber wurde ich geboren." Deswegen will Ulrich Jende nicht ausziehen aus seiner Wohnung in der Müllnerstraße in Weißenfels. Auch Karl-Heinz Eiternick sind die 53 Quadratmeter in der Müllerstraße seit 1983 Zuhause geworden. Mit 73 Jahren möchte er sie nicht mehr verlassen, auch wenn das Wohnungsumfeld schon lange nicht mehr einladend ist.
Beide Männer wurden jetzt von der Wohnungsbau Wohnungsverwaltung Weißenfels GmbH (WVW) mit einem Brief informiert, dass das Dreifamilienhaus, in dem sie die letzten Mieter sind, zum Verkauf steht. Deswegen werde es nicht mehr saniert, heißt es in dem Schreiben. Aber wann dann? Das fragen sich Jende und Eiternick.
Im Treppenhaus bröckelt schon seit Jahrzehnten der Putz ab. Die Schwalben stört das nicht, sie haben dort ihr Nest gebaut. Von unten zieht Nässe auf, wohl deswegen ist die Parterrewohnung schon seit Jahren nicht mehr bewohnt. Wasserflecken an der Decke von Wohnzimmer und Schlafzimmer bei Ulrich Jende zeigen an, was auf dem Dach und im Dachstuhl los ist. "Es muss hier endlich mal etwas getan werden", fordert Jende. 50 000 Euro Einnahmen aus der Kaltmiete habe die WVW bisher von ihm erhalten und nichts sei in seinem Haus geschehen, schimpft er. Jetzt wolle sich die städtische Gesellschaft des Problems einfach durch Verkauf entledigen. Das finde er unanständig und schäbig.
"Wir können nicht den gesamten Wohnungsbestand erhalten", erklärt WVW-Chefin Kathleen Schechowiak. Darum haben jetzt nicht nur diese beiden Mieter Post ähnlichen Inhalts erhalten. Die WVW konzentriere sich auf die Erhaltung ihres Kernbestandes, das heißt der jüngeren Wohnungen, ab Baujahr 1935, vor allem aber ab Baujahr 1965. Es gebe immer weniger Mieter. Die 700 Wohnungen aus dem Altbaubestand aufwendig zu sanieren und woanders Leerstand zu finanzieren, das könne sich die WVW nicht leisten. Deswegen stehen jetzt 90 Immobilien aus dem Altbaubestand zum Verkauf.
Die WVW verstehe einen Umzug in eine ihrer leerstehenden Wohnungen als ein Angebot an ihre Mieter. Keiner müsse umziehen, man lade nur zu Gesprächen ein, um die besten Lösungen im beiderseitigen Interesse zu diskutieren, so Schechowiak. Wer nicht umziehen möchte, könne trotz Verkaufs in der Wohnung bleiben.
Außer Jende und Eiternick gefällt die Umzugsidee einem Investor überhaupt nicht. Denn der Vater dreier erwachsener Kinder rechnet mit den Mietern. "Drei Kinder, drei Häuser - damit ich meinen Kindern im Alter mal nicht finanziell zur Last falle", erklärt der Weißenfelser Unternehmer, warum er Häuser kauft. Zwei alte Immobilien sind im Ergebnis seiner Art der Vorsorge schon im Besitz der Familie und haben bereits eine handwerkliche Kur erfahren. "Ich freue mich, dass wir dafür schon Mieter haben", sagt der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. Wer als Käufer nicht selbst in die Immobilie einziehen wolle, der kaufe doch am liebsten Häuser mit Mietern. So möchte auch er niemanden raus, sondern Mieter rein haben. Denn am Ende müssen die Ausgaben für die Sanierung wieder rein kommen. Dabei ist ihm bewusst, dass in den unsanierten Altbauten die niedrigen Mieten meist der Hauptgrund sind, dass die Wohnungen noch belegt sind. Deswegen will er keine hochmodernen "Glashäuser" schaffen, aber Wohnungen anbieten, in denen man gern lebt und die bezahlbar sind.
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